Als die Revolutionär*innen in 1918 und den Folgejahren auf die Straßen gingen stellten sie die damals wie heute grundlegenden Fragen danach, wie wir unser Zusammenleben organisieren wollen, – wie eine demokratische Selbstverwaltung von Gesellschaft funktionieren könnte und wie wir eine vernünftige Produktion und gerechte Güterverteilung verwirklichen können.
Sie fragten sich wer hier eigentlich die Macht inne hat und wie dies geändert werden könnte. Diese zentralen Fragen, die unter den revoltierenden Matrosen und Arbeiter*innen von 1918 eine Rolle spielten und weit über das damals Erreichte sowie das heute Bestehende hinausreichen, nämlich Rätedemokratie und Sozialismus, werden heute von vielen als Spinnereien ihrer Zeit historisiert.
Dieser Tage erhalten hunderte Kieler*innen einen Brief der Vonovia in dem ihnen mitgeteilt wird, dass die Sozialbindung ihrer Wohnung endet und ihre Miete sich drastisch erhöhen wird. Ein paar Tage später meldet sich dann das Jobcenter, das sie zum Umzug zwingen wird da der neue Preis über der bewilligten Miete liegt.
Während das Who-is-Who der Sozialdemokratie der Stadt Kiel zusammen die Matrosen feiert und als Verfechter*innen der bürgerlichen Demokratie vereinnahmt, fragen sich tausende wie sie ihre nächste Miete bezahlen sollen.
Als sich im September die Bosse und Lobbyisten von Vonovia, Deutsche Wohnen und wie sie alle heißen zum Wohnungsgipfel mit der Regierung treffen reiben sich die Investoren die Hände, denn in diesem System heißt jeder Schritt gegen Wohnungsnot immer auch, dass einige Milliarden an Subventionen in die Taschen weniger gespült werden, die mit ihrem Eigentum an Wohnraum so viel verdienen wie es einzelne Mieter*innen in ihrem Leben nicht werden.
Da der Kapitalismus sich zu einem globalen Phänomen entwickelt hat, verlieren die westlichen Städte ihren Reiz als Industriestandorte, da die Produktion in diesen zu teuer ist.
In unseren Städten hat sich der Schwerpunkt unterdessen hin zu Forschung, Entwicklung, Design, Vertrieb, Werbung und Logistik verschoben und die Städte konkurrieren um hochprofessionalisierte Arbeitskräfte.
Die anderen Beschäftigten werden in den Niedriglohnsektor verbannt oder werden sogar erwerbslos. Ohne Industrie braucht es nicht mehr die Menge an arbeitenden Menschen, die in Stadtnähe leben müssen. Die Stadt wird nun also so umgestaltet, dass sie für hochprofessionalisierten gutverdienende Arbeitskräfte attraktiv ist und sämtliche Angebote der Stadt werden hauptsächlich auf diese zugeschnitten.
Eine Stadt die gut Verdienende anlockt weckt auch das Interesse von Investor*innen, die Häuser kaufen, sanieren und die zahlungsschwachen Bewohner*innen vor die Tür setzt. Einziges Ziel hierbei ist die Profitmaximierung.
Es fehlt häufig nicht an Wohnungen im Allgemeinen sondern an bezahlbaren Wohnungen und sozialem Wohnungsbau. In diesem Zusammenhang werden Geringverdiener*innen und Erwerbslose als Kostenfaktor und nicht profitabel wahrgenommen und nach Möglichkeit verdrängt.
Wohnen etwa ist auch in Kiel zu einer der bestimmenden sozialen Fragen geworden. Für Alleinerziehende mit Teilzeitstelle und Armutseinkommen, für Studierende ohne reiche Eltern, die mal eben eine Bürgschaft unterzeichnen könnten, für Geflüchtete, für Menschen ohne deutsch klingenden Namen, für Menschen mit Schufa-Eintrag und sehr viele andere geht es sogar um die schiere Existenz.
Instrumente wie Mietpreisbremse und ein verpflichtender Anteil an Sozialwohnung erweisen sich als wirkungslos und werden von Stadtvertreter*innen gleichermaßen wie von Investoren ausgehebelt, damit der Profit mit Wohnraum niemals ins Stocken kommt. Gleichzeitig hat sich die Zahl der Menschen ohne Wohnung seit 2013 auf über 2000 verfünffacht.
Und obwohl sich die Lange in Zukunft noch weiter verschärfen wird erleben wir es in erschreckender Regelmäßigkeit, dass Investoren ermöglicht wird Luxusbauten in die Innenstadt zu pflanzen ohne den vereinbarten Teil an sozialem Wohnraum zu erfüllen, Kleingärten Möbelriesen weichen müssen und Menschen aus ihren Wohnungen und Stadtteilen verdrängt werden.
Die kürzlich angeschobene städtische Wohnungsbaugesellschaft wurde vergessen mit Geld und Baugelände auszustatten und private Bauprojekte wie „Marthas Insel“ werden von politisch Verantwortlichen als „wesentlicher Beitrag“ zur Lösung der akuten Wohnungsnot gelobt. Es soll mit einzelnen Prestigeprojekte vom grundsätzlichen Problem abgelenkt werden – wie die für die nächsten Jahre geplante Hand voll geförderten Wohneinheiten angesichts des enormen Bedarf an Wohnraum einen „wesentlichen Beitrag“ leisten sollen, bleibt dabei im Dunkeln.
Unsere Aufgabe ist es, die scheinbare Unmöglichkeit Städte in Hinblick auf die Bedürfnisse ihrer Bewohner*innen zu planen, zu bauen und zu erhalten. Wir müssen die Kieler Stadtplanung entzaubern und sie als das zu entlarven was sie ist: Eine Folge der Kapitalistischen Verwertung der Ware Stadt, basierend auf den Eigentumsverhältnissen, welche stets reproduziert werden.
Aus diesem Grund ist unser Kampf um Wohnraum derselbe Kampf den die Arbeiter*innen und Matrosen geführt haben – ein Kampf gegen Eigentum an Wohnraum und Produktionsmitteln.
Wäre es nach den Matrosen und Arbeiter*innen von 1918 gegangen müssten wir uns heute nicht mit der Frage nach der nächsten Miete, der nächsten Mahlzeit, nach Selbstbestimmung oder Zukunftsperspektiven herumschlagen. Die Revolutionäre hätten uns gerne eine Welt hinterlassen in denen wir uns neuen Fragen widmen könnten statt immer noch gegen die alten Verhältnisse kämpfen zu müssen. Doch die Matrosen und Arbeiter*innen von 1918 kamen nicht dazu, ihr Kampf wurde von den herrschen blutig niedergeschlagen und die alten Eliten setzten sich erneut an die Spitze der Gesellschaft. Es liegt heute an uns den Kampf weiterzuführen.
Wofür lohnt es sich mehr zu kämpfen, als für eine Welt, in der niemand verhungern muss, während andere vor Reichtum wahnsinnig werden? Eine Welt, in der keine Kriege mehr geführt werden, eine Welt, in der keine Menschen ertrinken müssen, während einsatzbereite Rettungsschiffe an der Ausfahrt gehindert werden. Eine Welt, in der niemand auf der Straße erfrieren muss, während Luxusapartments leerstehen. Eine Welt, in der Wohnungsgroßkonzerne wie Vonovia oder Deutsche Wohnen enteignet sind, es kein Eigentum an Wohnraum mehr gibt, kollektives Wohnen in Genossenschaften, vergesellschafteten Wohnungen oder auf Wagenplätzen Normalität ist und kein Mensch unfreiwillig ohne Wohnung auskommen muss.