„Brennende Autos.“ Diese zwei Wörter kann ich nicht mehr hören! Als ich spät am Samstag, der G-20 Gipfel war zu Ende, zurück in Kiel war, wollte ich mich unbedingt mit anderen Leuten über den Gipfel austauschen. Ich wollte berichten von den vielfältigen und friedlichen Protesten, meinen Erlebnissen, Eindrücken und Erfolgen. Und erwartete, dass mir mein Gegenüber von einem Gipfel erzählt, der, wie es nicht anders zu erwarten war, keine Fortschritte in den wirklich wichtigen Themen erzielt hatte. Dazu kam es leider nicht. Alle, die die gängigen Medienkanäle geschaut hatten, waren der Meinung ganz Hamburg hätte gebrannt. Der eigentliche Gipfel trat in den Hintergrund. Und das mediale Echo war und ist eindeutig: Wie solle man in Zukunft linken Extremisten entgegentreten? Anstatt sich grundlegendere Fragen zu stellen: War Hamburg die falsche Wahl? Was bringt ein Gipfel ohne konkrete Beschlüsse? Tut es auch eine Skype-Konferenz? Wie können globale Probleme (Kriege, Klimawandel, Ungerechtigkeit etc.) wirklich gelöst werden?
Aufgrund der durch die Medien getriebenen Diskussion über die Krawalle während des G-20 Gipfels, möchte ich zuerst ganz klar sagen: Es gab niemanden in unseren SDS-Reihen, der/die randalierte oder schlimmeres tat. Wir fuhren nach Hamburg, um leidenschaftlich zu protestieren und ein buntes und vielfältiges Zeichen gegen G-20 zu setzen. Ein Erlebnisbericht:
Donnerstag, 6.Juni – ein Tag vor dem Gipfel
Um drei Uhr nachmittags erreiche ich mit anderen Genoss*Innen das Camp im Volkspark. Es lag sehr weit draußen und wirkte noch recht spärlich besetzt. Die repressiven Mittel der Polizei der letzten Wochen haben Erfolg gehabt. Die Atmosphäre im Camp war trotzdem sehr gut. Solid und SDS-Gruppen hatten in einer Ecke eigene kleine und große Zelte errichtet, Bänke dienten als Sitzgelegenheit. Schön, dass es so viele aus dem ganzen Bundesgebiet nach Hamburg geschafft hatten.
Wir machten uns auf zur berüchtigten „Welcome to Hell“-Demo. Musik und Redebeiträge stimmten die vielen Menschen auf die bevorstehende Demonstration ein. Es war sehr warm und jeder Schatten wurde genutzt. Auch war es sehr bunt und wirkte in seiner Art wie ein alternatives Straßenfest. Trotz der Wärme formierte sich alsbald der schwarze Block. Sowohl der schwarze Block, als auch wir zogen zu den Landungsbrücken. Es klingt komisch, aber ich hatte tatsächlich nie das Gefühl, dass diese Demo losgehen würde. Es sollte sich bewahrheiten. Das meiste was nun geschah, kennt man aus den Medien. Doch Fakt ist, dass ich keine fliegenden Flaschen sah, im Gegenteil es wirkte alles äußerst friedlich. Darf man nun das (damals umstrittene) Vermummungsverbot über die Versammlungsfreiheit heben? Die Polizei stürmte jedenfalls gewaltvoll die Demo – Ausschreitungen folgten. Ein neu gebildeter Demonstrationszug, dem Teile von uns angehörten, lief daraufhin durch Hamburg. Wahrscheinlich aus Wut über die polizeilichen Maßnahmen zogen einige der Teilnehmer eine Spur der Verwüstung hinter sich her. Gewalt zieht Gewalt nach sich… Über beides bin ich nicht froh. Wir erreichten noch das Schanzenviertel, wo die der Demonstrationszug endgültig zerschlagen wurde.
Freitag, 7.Juni – es kommt Bewegung in die blaue und rote Zone, der Gipfel beginnt.
Früh ging es los! Bei der Aktion „Colour the red zone“ starteten verschiedene Demonstrationsfinger von verschiedenen Orten Hamburgs. Die grünen und blauen Finger begannen ihre Wege vom Volkspark aus in die Innenstadt. Wir vom SDS schlossen uns dem blauen Finger an. Der lange Weg in die Stadt verlief nicht ohne Zwischenfälle in Form einer Einkesselung der Polizei unter unverhältnismäßigen Schlagstock und Pfefferspray-Einsatz. Letztendlich schaffte es der blaue Finger bis an die rote Zone, bildete eine Sitzblockade und setzte so ein Zeichen gegen die Demonstrationsverbotszone und den Gipfel. Eine komplett friedliche Aktion, die jedoch ohne Zögern mit Wasserwerfer-Einsatz beendet wurde. Ausführlicher unter:
Mein persönlicher Höhepunkt war die ‚Terror-Oma‘, die einem Demonstranten ein Transpi entriss, dass sich gegen Braunkohle richtete. Sie wollte partout nicht loslassen, setzte sich lautstark für Braunkohle ein und wollte sich nicht auf ein friedliches Gespräch in einer nahegelegenen Kirche einlassen. Nachdem sie noch Luftballons zerplatzte, uns als Arbeitslos beschimpft, Finger zeigte und uns den Tod wünschte, zog sie von dannen. Es wurde humorvoll gesehen. Nach diesem Aufruhr verbrachte ich die nächste Zeit damit, mich in der Sonne zu trocknen und mich von den Strapazen des Morgens zu erholen.
Später schaffte ich es noch in die direkte Nähe der Elbphilharmonie. Dort wurde bei jedem vorbeifahrenden schwarzen Wagen, der die Staatoberhäupter zum Konzert fuhr, folgender Spruch skandiert: „A-Anti-Antikapitalista.“ Bei Trump waren wir am lautesten.
Über die folgenden Krawalle will ich nicht viel sagen. Es war einfach nur heftig. Ein hässlicher Höhepunkt, der das einzig berichtenswerte sein sollte. Dabei war der Tag eigentlich so erfolgreich.
Samstag, 8.Juli – eine riesige Demo gegen den schon zu Ende gehenden 130-Millionen-Gipfel
Ausgeruht war ich nach dieser Nacht nicht. Ein Helikopter flog die ganze Zeit in geringer Höhe über dem Camp. Ich sollte das Rotorengeräusch noch den nächsten Tag hören.
Das Camp war von der Polizei umstellt. Raus ging es nur nach Aufnahme der Personalien und Taschenkontrolle. Ich finde es unglaublich dreist, dass hunderte Menschen unter Generalverdacht gestellt wurden allein wegen der Vermutung, es hätten sich angeblich einzelne derer, die an der Schanze die Schäden verursacht haben, im Camp befunden.
Eine Gruppe von schätzungsweise 70 Solid und SDSler*Innen schloss sich der Groß-Demo „Grenzenlose Solidarität statt G20“ an, die ein voller Erfolg werden sollte. Der SDS, Solid und die Partei an einer Seite gegen den Gipfel und für eine bessere Zukunft. Gute Musik, tolle Menschen und beste Stimmung prägten unseren Zug. Es gab einen Abschnitt der Strecke – ein Hochpunkt, von dem aus man viele tausend Menschen sehen konnte. Es hat mich mit Hoffnung erfüllt zu sehen, wie all diese Menschen, wofür sie auch kämpfen mögen, darin vereint sind, die Welt zu einem besseren Ort zu machen und erkannt haben, dass die G-20-Staaten während des Gipfels genau das Gegenteil bewirken.
Ich hoffe jeder merkt, dass es um mehr als nur brennende Autos ging. In Hamburg fand ein unnötiger Gipfel statt und parallel versuchten Menschen auf so viele friedliche Arten ihren Protest kund zu tun. Und wir, der SDS, war ein Teil davon.
Nick.